Rückblick auf vierte Dialogveranstaltung
"Sterben in der Schweiz: medizinische Versorgung und Betreuung am Lebensende" war das Thema der vierten Dialogveranstaltung. Rund 90 Fachpersonen nahmen daran teil und diskutierten die Bedeutung der Ergebnisse dreier Forschungsprojekte aus dem NFP 67.
Die Forschungsfragen rund um die medizinische Versorgung von Sterbenden würden einhergehen mit der Strategie Gesundheit 2020 des Bundesrates, welche Palliative Care als Teil der Strategie verankert habe, so Stefan Spycher, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit, in seinem Eingangsvotum. Er erläuterte zudem, dass diese Strategie auch zum Ziel habe, die Versorgung von Sterbenden in der Schweiz zu verbessern. Auf gesundheitspolitischer Ebene stünden Fragen zur Finanzierung im Vordergrund. Spycher erachtet ethische Fragen ebenfalls als wichtig und sieht in den Forschungsarbeiten des NFP 67 einen wichtigen Beitrag zur Strategie, da sie beiden Fragestellungen Rechnung tragen und dazu verhelfen würden, fehlende Angebote im Sterbeprozess zu eruieren.
Zuerst präsentierten Konstantin Beck (CSS-Institut) und Barbara Fischer (polynomics) einige Forschungsresultate aus ihrem gesundheitsökonomischen Projekt "Unbezahlbar? Der Wert medizinischer Behandlungen am Lebensende". Es zeigte sich, dass Sterbende je nach Umständen sehr unterschiedlich hohe Kosten verursachen: Nur ein sehr kleiner Teil (ca. 2 Prozent) verursachen exzessiv hohe Kosten, zudem sinken die Lebensendekosten mit zunehmendem Alter der Sterbenden. Die Zahlungsbereitschaft der Schweizer Bevölkerung am Lebensende ist offensichtlich hoch, wobei auffällige Unterschiede zwischen Deutschschweiz und Romandie bestehen.
Das von Samia Hurst (Universität Genf) vorgestellte Forschungsprojekt "Medizinische Entscheidungen am Lebensende: Häufigkeit und Trends in der Schweiz" untersuchte, welche Entscheidungen am Lebensende durch Ärzte getroffen wurden und wer – aus Sicht der Ärzte – in diese Entscheidungsprozesse einbezogen wurde. Im Vergleich zu Daten aus dem Jahr 2001 zeigte sich eine starke Zunahme der kontinuierlichen tiefen Sedierung bis zum Tod. Auffällig sei zudem, so Hurst, dass bei einem von sieben Fällen eine Lebensende-Entscheidung weder mit Angehörigen noch mit den Sterbenden besprochen wurde, was selbst dann vorkam, wenn ein Patient noch urteilsfähig war.
Matthias Egger (Universität Bern) zeigte anhand der Projektergebnisse aus dem Projekt "Regionale Unterschiede medizinischer Behandlungen am Lebensende" auf, dass die Versorgung am Lebensende in Bezug auf Kosten, Sterbeort und Behandlungsintensität regional stark unterschiedlich sind. Dabei zeigten sich grosse Differenzen in der Deutsch- und Westschweiz: In der Romandie wird beispielsweise häufiger in Heimen und Spitälern gestorben als in der Deutschschweiz. Die Forschungsgruppe konnte zeigen, dass sozioökonomische Unterschiede dagegen kaum einen Einfluss auf die Versorgung am Lebensende haben.
Die am Dialog teilnehmenden Praxisvertreter, Michael Jordi, Zentralsekretär der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK, Catherine Gasser, Abteilungsleiterin Nachsorge der Krebsliga Schweiz sowie Jürg Schlup, Präsident der FMH – der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte – sahen insbesondere in den von Samia Hurst vorgetragenen Ergebnissen wertvolle Grundlagen für ihre Arbeit. Sie sahen Handlungsbedarf hinsichtlich einer verbesserten Kommunikation zwischen den behandelnden Personen, den Sterbenden und ihren Angehörigen.
Die Praxisvertreter erachteten die saubere Darstellung von Kosten, die am Lebensende entstehen, als hilfreich, warfen zugleich aber die Frage auf, ob daneben genügend humanwissenschaftliche Erkenntnisse über die Lebensqualität von Sterbenden vorhanden seien. Was bedeutet Lebensqualität am Lebensende? Es sind nicht immer lebensverlängernde Massnahmen, sondern beispielsweise der Wunsch, zu Hause sterben zu können. Dafür ist nebst der medizinisch-palliativen Versorgung eine "lebensqualitätsorientierte" Versorgung notwendig – ein offensichtlich heute noch weitgehend fehlendes Element, um die Versorgung am Lebensende zu verbessern.
Die fünfte und letzte Dialogveranstaltung zu gesellschaftlichen Vorstellungen und Idealen von gutem Sterben findet am 8. Dezember 2016 in Bern statt.