Rückblick auf fünfte Dialogveranstaltung
Was ist gutes Sterben und wer definiert dieses? Forschende und VertreterInnen aus der Praxis diskutierten im Rahmen der fünften und letzten Dialogveranstaltung mögliche Antworten.
Auch die letzte von fünf Dialogveranstaltungen hatte den Anspruch, Forschende sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Praxis in einen Dialog zu bringen. Thema war "das gute Sterben: Gesellschaftliche Vorstellungen und Ideale". "Sterben ist ein Prozess, der gesellschaftlich gestaltet wird", eröffnete Ursula Streckeisen, Soziologieprofessorin und Mitglied der Leitungsgruppe des NFP 67 die gut besuchte Veranstaltung. Andrea Büchler, Präsidentin Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK honorierte in ihrer Begrüssung die Forschungsbeiträge aus dem NFP 67 und die offene Diskussion mit der Praxis als wertvolle Beiträge, der Definition des "guten Sterbens" näher zu kommen.
Als ersten Beitrag aus der Forschung stellte Corina Salis Gross (Universität Bern) die Resultate aus dem Projekt "Lebensende und Diversität im Altersheim" vor. Altersheime wandeln sich immer mehr zu Sterbeinstitutionen, in denen der Diskurs über das Sterben expliziter und präsenter ist als früher. Die Forschenden stellten fest, dass Grundsätze aus der Palliative Care bereits in Altersheimen Niederschlag gefunden haben. "Pflegende versuchen, ‚gutes Sterben' herzustellen, indem sie sich an normative Labels halten", führte Salis Gross aus. Diese Praxis finde aber ohne explizite Reflexion im Team statt und sei auch nicht schriftlich in Grundlagendokumenten festgehalten. Als spannendes Ergebnis bezeichnete Salis Gross, dass die meisten beobachteten Sterbeprozesse "keine migrationsspezifischen Auffälligkeiten" zeigten, obschon diese beim Heimeintritt oder im üblichen Heimalltag sehr wohl sichtbar sind. "Gegen Ende des Sterbeprozesses sind wir uns alle sehr ähnlich – egal welcher Herkunft wir sind. Individuelle Bedürfnisse sind dabei viel wichtiger als migrationsspezifische" – schliesst Corina Salis Gross aus den Resultaten.
Betreuende sehen sich oft mit Traumvisionen aber auch Visionen im Wachzustand der Sterbenden konfrontiert. Dabei spielt es keine Rolle wie sehr man sich in seinem Leben der Religion oder Spiritualität verschrieben hatte. Simon Peng-Keller (Universität Zürich) untersuchte im Forschungsprojekt "Bildhaftes Erleben am Lebensende. Ansätze zur spirituellen Begleitung" solche Visionen in Hinblick auf die Möglichkeit spiritueller Begleitung. Er betonte die starke Bedeutung dieser Visionen, denn oft sind sie tröstlich, schaffen Distanz und tragen zur Verarbeitung bei – sowohl bei Sterbenden als auch bei Angehörigen. Simon Peng-Keller zog als Fazit aus seiner Forschung eine nötige Sensibilisierung der Gesellschaft, damit Visionen nicht als Problem, sondern als Möglichkeit gesehen werden, die Sterbenden zu unterstützen. Den Reigen der Forschungspräsentationen schloss Mathieu Bernard (CHUV-Lausanne) mit den Resultaten aus dem Projekt "Lebenssinn, Spiritualität und Wertevorstellungen bei Menschen am Lebensende". Fast 600 Personen aus den drei grossen Sprachregionen der Schweiz wurden für die Untersuchung befragt. Während in unserer Leistungsgesellschaft bei vielen die Arbeit eine zentrale Rolle einnimmt, zeigte die Befragung, dass sich am Lebensende der Lebenssinn mehr auf Bereiche wie Familie, soziale Beziehungen oder auch Religion und Spiritualität verlegt. Das spirituelle Wohlbefinden trägt dabei stark zur Minderung psychischer Belastung bei. Es konnten keine regionalen Unterschiede festgestellt werden.
Im Anschluss an die drei Präsentationen traten die Forschenden in den Dialog mit den Vertreterinnen aus der Praxis: Sibylle Jean-Petit-Matile, stellvertretende Geschäftsleiterin und Ärztliche Leiterin Stiftung Hospiz Zentralschweiz, Hildegard Hungerbühler, Leiterin Grundlagen und Entwicklung Schweizerisches Rotes Kreuz sowie Karin Tschanz, Ausbildungsleiterin Palliative und Spiritual Care, Spitalpfarrerin Hirslanden Klinik Aarau sowie Co-Vize Präsidentin palliative.ch. Sie bestätigten aus eigenen Beobachtungen die Erkenntnisse aus der Forschung, dass bei akut Sterbenden oft keine kulturellen Unterschiede mehr bemerkbar sind: Das Sterberitual ist bei vielen Menschen sehr ähnlich. Aus ihrem beruflichen Alltag könnten sie zudem bestätigen, dass am Lebensende persönliches Wachstum und soziale Beziehungen wichtiger seien als die einmal ausgeübte berufliche Tätigkeit oder die Gesundheit. Auch erachten sie die Forschung zum bildhaften Erleben als sehr hilfreich – da eine Sensibilisierung in der Gesellschaft nötig ist und helfen kann, Visionen von Sterbenden besser aufnehmen und in den Sterbeprozess integrieren zu können.
Ursula Streckeisen verabschiedete die Teilnehmenden mit abschliessenden Bemerkungen. Man müsse sich fragen, inwieweit individuelle Wünsche mit gesellschaftlichen Normen übereinstimmten. Das einzelne Individuum sei frei, sich auch von gesellschaftlich geprägten Werthaltungen abzusetzen. Gesellschaftliche Werthaltungen entschieden jedoch mit darüber, wie der Wunsch nach einem "guten Sterben" umgesetzt werden könne. Dazu sei auch die Praxis in der Pflicht. Es sei wichtig, dass den Fachleuten in der Praxis vermehrt die Musse zugestanden werde, über die unmittelbaren Alltagserfahrungen hinaus darüber nachzudenken, worin die grossen Entwicklungen bestehen und was sie im einzelnen Fall bedeuten könnten. Es stelle sich nach dieser Veranstaltung schliesslich auch die Frage, was das Lebensende für Menschen ohne religiösen Hintergrund leichter mache. Es zeige sich nämlich, dass sich die Schweizer Gesellschaft nicht auf dem Weg zurück zur Kirche befinde. Aus diesem Grund sei es wichtig, künftig auch darüber zu forschen, wie Bedingungen für ein "gutes Sterben" auch für nichtreligiöse und nichtspirituelle Menschen geschaffen werden können.